Besprechung
Nach einem Unfall muss der Polizist John Ferguson (James Stewart) den Dienst quittieren, da er unter extremer Höhenangst leidet. Eines Tages kommt sein ehemaliger Kumpel Gavin Elster (Tom Helmore) auf ihn zu und bittet ihn um einen Gefallen. Elster macht sich Sorgen um seine junge Frau Madeleine (Kim Novak), die immer wieder Episoden hat und dann nicht weiß, was in der Zwischenzeit passiert ist. Elster ist der Meinung, seine Frau sei von dem Geist einer Verstorbenen besessen.
Ferguson nimmt den Fall an und verfolgt Madeleine. Nach einigen Tagen rettet er sie aus der San Francisco Bay, in die sie sich gestürzt hat. Das erzeugt nur noch mehr Sorge bei ihrem Ehemann. Wie es scheint, ist Madeleine vom Geist der irren Carlotta besessen, von ihrer Urgroßmutter, die sich mit 26 Jahren das Leben nahm. Für den Retter Ferguson wird es nun auch heikel, beginnt er sich doch langsam in Madeleine zu verlieben – bis sich die blonde Schönheit tatsächlich in den Tod stürzt. Von einem Turm. Und Ferguson konnte wegen seiner Akrophobie nicht helfen. Er versinkt in starke Depressionen, gemischt mit extremen Schuldgefühlen. Da heraus kann ihn auch nicht seine Freundin Midge Wood (Barbara Bel Geddes) holen.
Eines Tages trifft Ferguson eine Frau, die Madeleine verblüffend ähnlich sieht. Judy Barton (Kim Novak) ist Verkäuferin und zunächst sehr schroff gegenüber Ferguson, doch dann sieht sie, wie sehr er leidet. Die beiden kommen sich näher, bis Ferguson anfängt, Judy nach dem Vorbild Madeleines zu formen. Die macht widerwillig mit, wobei ihr ein Fehler unterläuft …
Meinung von Nils
Wer kennt ihn nicht, den berühmten Vertigo-Effekt, oder auch Dolly-Zoom genannt, den Hitchcock in Vertigo das erste Mal einsetzt? Viele Filme haben den Effekt kopiert, selten ist er so beeindruckend, wie in Vertigo. Der Zoom zeigt auf beeindruckende Weise den Angstzustand Fergusons.
James Stewart spielt den Jedermann, mit dem man sich leicht identifizieren kann. Bis er der schönen Kim Novak verfällt. Was zunächst Liebe war, wird nach dem Ableben von Madeleine zur krankhaften Obsession. Schaut man dem Spiel zu, muss man unweigerlich feststellen, dass das, was Ferguson da praktiziert, nicht gesund ist. Gar nicht gesund. Es schmerzt zuzusehen, wie sich Judy, die die Madeleine in einem finsteren Plot gespielt hat, aus Liebe zu Ferguson in die Verstorbene verwandelt. Sie liebt ihn, doch muss sie ständig damit hadern, ob Ferguson nun sie oder Madeleine liebt.
Wir sehen einen Mann, der besessen ist. Er kann nicht loslassen, im Endeffekt treibt er Judy an den Ort zurück, an dem sich Madeleine vermeintlich umgebracht hat.
Lange überlegt man, was es mit dem Rätsel auf sich hat, dass diese junge Frau von einem "Geist" heimgesucht wird. Was kann Madeleine davon haben, dass sie allen dieses Schauspiel bietet? Immerhin geht der Zuschauer davon aus, dass irgendwas faul ist, dass etwas hinter der Geistergeschichte stecken muss. Es will aber nichts logisch erscheinen - dann ist sie tot.
Nachdem Ferguson in einer Anstalt langsam, ganz langsam geneset, sieht er überall die geliebte Verstorbene. Als dann Judy vor ihm steht, packt ihn die Besessenheit. Er schiebt Judy beiseite und will sie durch Madeleine ersetzen, anstatt Judy für das zu lieben, was sie ist.
Noch vor dem ersten Treffen der Beiden klärt Hitchcock dann doch die Zuschauer auf. Eine kleine, eigentlich recht kurze Rückblende, die etwas zeigt, was wir zuvor nicht haben sehen können, weil wir mit James Stewart auf der Treppe des Glockenturms mitgefiebert haben, öffnet plötzlich unsere Augen. So kurz und doch so ein Knaller, diese Szene.
James Stewart, der sonst immer der liebe, nette Mann ist, wird gen Ende des Films immer ungemütlicher. Als ihm endlich klar wird, was Judy und Gavin Elster ihm da für einen üblen Streich gespielt, was sie ihm angetan haben, wird der ruhige Stewart rasend und wild. Gut geschauspielert. Ebenso die junge Novak, die hier in ihrem elften Film mitspielte. Ihre Madeleine ist verwirrt und zerbrechlich. Ihre Judy verzweifelt und geplagt. Sie hat ein Verbrechen begangen und sich dabei in Ferguson verliebt, der aber noch der Vergangenheit nachhängt. Wie soll sie gegen den Geist Madeleines ankämpfen?
Hitchcock hatte bei den Dreharbeiten zu Der Fremde im Zug San Francisco besucht und sich gesagt, dass die Stadt eine wunderbare Kulisse für eine Geschichte abgeben würde. In Vertigo war es dann soweit. Die Geschichte basiert auf dem französischen Roman D'Entre Les Morts von Pierre Boileau und Thomas Narcejac. Beim Drehbuch musste man etwas suchen, bis man mit Samuel A. Taylor fündig wurde, der für den Film Sabrina bekannt ist.
Bei Vertigo kommt das eigentliche Verbrechen nur ganz kurz vor und dann auch erst etwa ab der Hälfte des Films. Vorher ist ein Film voller Mysterien, danach eine psychologische Studie. Vertigo kam damals nicht gut an. Mit der Zeit haben die Menschen erst den Wert des Films erkannt, so dass heute einige behaupten, Vertigo sei der wichtigste Film Hitchcocks.
Die weibliche Hauptrolle sollte eigentlich Vera Miles spielen, doch da sich die Produktion des Films verzögerte, musste sie aussteigen, weil sie mittlerweile schwanger war. Hitchcock fand stattdessen Kim Novak und konnte Miles zwei Jahre später doch noch in Psycho zum Einsatz bringen.
Wie man zu dem Film auch stehen mag, anschauen sollte man ihn sich auf alle Fälle. Schon um den Dolly-Zoom im Original gesehen zu haben, oder Kim Novak, die bei ihrem ersten Auftreten im Restaurant engelsgleich präsentiert wird. Grandiose Einstellung von ihr im Profil, die Wand hinter ihr wird etwas leuchtender … Toll. Nicht so toll fand ich das Ende, das doch recht abrupt endet und den Zuschauer unbefriedigt zurück lässt.