Besprechung
Gotham geht langsam den Bach runter. Die Müllabfuhr streikt, die Menschen sind kalt, das Wetter mies. Hier lebt Arthur Fleck (Joaquin Phoenix), der sich als Aushilfsclown verdient. Seine kranke Mutter Penny (Frances Conroy) sieht für ihren „Happy“ eine große Aufgabe – nämlich der Welt ein Lächeln zu zaubern. Arthur will Standup-Comedian werden. Leider hat er eine Krankheit, die ihn unkontrolliert lachen lässt. Hinzu kommt, dass es äußerst schwer ist, in der grausamen Welt von Gotham positive Gefühle zu empfinden.
Die Stadt streicht überall Gelder, auch bei den sozialen Einrichtungen. Damit geht auch Arthurs psychiatrische Betreuung flöten: keine Gesprächstherapie und keine Medikamente mehr. Als er dann noch seinen Job als Clown verliert, ist es zu viel für Arthur.
Penny und Arthur schauen sich liebend gerne die Talkshow von Murray Franklin (Robert De Niro) an. Gerne träumt Arthur davon, wie es wäre, bei Murray aufzutreten. Nachdem sein Versuch in einem Club aufzutreten gefilmt wurde, passiert das Unglaubliche und er wird tatsächlich in die Show eingeladen. Derweil geht Gotham immer mehr zugrunde. Aufstände drohen. Als Clown Maskierte fordern den Tod der Reichen.
Meinung von Nils
Das ist schwere Kost, das sei vorweg erwähnt! Ich liebe Heath Ledgers Darstellung des Clown Prince of Evil in The Dark Knight. Verdammt, der Australier hat dafür posthum einen Oscar erhalten. Wie schwer ist es da, in die Fußstapfen dieser Joker-Interpretation zu treten? Jared Leto hat es mit einer beschämend peinlichen Darstellung in Suicide Squad voll vergeigt. Ich hoffe, der wird schnell vergessen.
Joaquin Phoenix und Regisseur Todd Phillips (u.a. Starsky & Hutch, Hangover) gehen einen völlig anderen Ansatz. Sie haben sich gelöst von den (vagen) Entstehungsgeschichten des Jokers in den Comics. Der Film selber ist sogar nicht mit dem "großen DC-Universum" verbunden. Joker ist als Einzelfilm zu betrachten und nicht als Teil eines Franchises. Damit haben sich Phoenix und Phillips noch mehr Freiheiten erkauft.
Der Joker, Erzfeind von Batman, ist für mich seit ich ein kleiner Junge war, bedrohlich und verrückt. Unerklärlich verrückt und in gewisser Weise zum einen "einfach verrückt" – wie in: das ist so, müssen wir nicht mehr drüber reden. Ein chemischer Unfall hat ihn dazu gemacht. Zum anderen ist der Comic-Joker, aber auch Ledgers Interpretation, "gut verrückt" in Form von "gut, dass es diesen Gegenpol zu Batman gibt. Batman tut Gutes, gibt sich aber böse und grimmig. Der Joker hingegen tut Böses, hat dabei aber immer ein Lächeln auf den Lippen."
Todd Phillips' Joker ist nicht an Batman gebunden. Dieser Joker ist ein trauriger, ein deprimierender Film. Zwar sagt Phoenix, er habe sich bei der Erschaffung seines Charakters intensiv mit psychischen Krankheiten auseinander gesetzt und wollte ein Wesen schaffen, das von keinem Psychiater der Welt diagnostiziert werden kann. Arthur Fleck ist aber im Grunde ein Mann mit Depressionen. Gekrönt mit einem unhaltbaren, schmerzhaften Lachen. Er will nicht lachen. Das Lachen tut Arthur weh und dem Zuschauer auch. Wer hier im Kino mitlacht ... Sorry. Der macht sich über einen kranken Menschen lustig.
Wir werden in diese düstere, traurige Welt des Arthur Fleck gezogen. Sympathien können wir nicht empfinden, dafür Mitleid. Dies ist kein "Held", dem die Herzen zufliegen. Niemand will am Ende so sein wie Joker. Ja, ein Cape umwerfen und mit tiefer Stimme I'm Batman!
grollen, das ist cool. Aber wie Joker möchte man nicht sein und man wünscht es sich auch, dass der Mann auf der Leinwand nicht so leiden müsste.
Aber dann hätten wir keinen Joker. Vermutlich zählt der Joker zu den beliebtesten Bösewichten der Popkultur, den es gibt. Der Joker ist "gut", weil er befreit ist von all den gesellschaftlichen Zwängen. Das zeigt uns gerade Heath Ledgers Joker, der sich selber als Hund bezeichnet, der wild kläffend hinter einem Wagen herläuft. Phillips zeigt uns die Schattenseite des Jokers. Die kranke Seite.
Das spielt Joaquin Phoenix absolut hervorragend! Er hat sich in eine schmerzhafte Gewichtsklasse heruntergehungert – nicht so schrecklich wie Christian Bale in Der Maschinist, aber doch so sehr, dass wir seine Schulterblätter eklig herausstechen sehen. Phoenix' Joker tanzt viel. Tanz als Befreiung, Tanz aber auch als eine Art Meditation um den Schmerz unter Kontrolle zu halten. Es gibt die Szene in der Toilette, wo er tanzt, als würde er Tai Chi machen.
Im Endeffekt leidet Arthur so sehr, dass er – auch unterstützt von der abgesetzten Medikamentation – sich irgendwann von seinem Schmerz befreit. In seinem kleinen Tage- und Witzebuch, das er mit sich führt, stehen sehr düstere Dinge. Aber am Ende landet er an dem Punkt, wo er sein Leben nicht mehr als Tragödie ansieht, sondern als Komödie. Er hebt ab, er steht über den Dingen. Damit auch über dem Gesetz. Er kann töten wen er will. Wir wissen alle, dass der Joker tötet. Also kein Spoilern hier.
Wir lieben den Joker, weil er über dem Gesetz steht und dabei mit seiner hysterischen Lache irgendwie lustig ist. Wenn wir den Unfall nehmen, den der Joker im Comic erleidet – ein Fall in eine chemische Brühe –, dann ist das etwas völlig anderes als eine psychische Krankheit. Plötzlich wird der Joker real.
Joker ist gut. Die Darstellung und Aufopferung für die Rolle von Joaquin Phoenix hervorragend. Er ist nur nicht lustig. Wenn das die von den Medien heraufbeschworene Brutalität des Films ist, gebe ich ihnen Recht. In den Medien hieß es jedoch, dass die Brutalität in dem Film so krass sei, dass Menschen den Kinosaal verlassen hätten. Besucher, die mit Clownsmasken ins Kino wollten, wurden gebeten das zu unterlassen. Hatte man Angst vor Übergriffen, wie sie im Film von einem wütenden Mob verübt werden? Da habe ich schon ganz andere Mob-Szenen gesehen (z.B. Strange Days, Talk to Me) und die haben nicht zu "Bitte nicht nachmachen"-Beschwörungen geführt. Also alles blöde PR.
Man muss selbst entscheiden, ob man Joker sehen möchte. Er lässt viele Interpretationen zu. Er hat auf alle Fälle einige großartige Bilder. Wenn Joker sich mit seinem eigenen Blut ein Lächeln ins Gesicht malt: Großartig. Und nebenbei gibt es eine wunderschöne Reminiszenz an Heath Ledgers Joker, wenn Phoenix' Joker im Polizeiwagen fährt. Das ist Verneigung vor einer großen Darstellung.