Filmplakat Die Vögel

8,5/10

"Ignorieren? Was? Den Vogel-Krieg?" — Die Vögel, 1963

Die Vögel

Besprechung

Nachdem die schöne Melanie Daniels (Tippi Hedren) „Opfer“ eines bösen Streichs wurde, will sie dem „Täter“, Rechtsanwalt Mitch Brenner (Rod Taylor) auf die charmante Weise eines auswischen. Sie will Mitch zwei Vögel überreichen, die er eigentlich seiner kleinen Schwester Cathy (Veronica Cartwright) zum Geburtstag schenken wollte. Dazu muss sie nach Bodega Bay fahren.

Das verträumte Dorf an der Westküste zum Pazifischen Ozean ist der Rückzugsort von Mitch übers Wochenende. Eigentlich wollte Melanie nur die Vögel abgeben, aber wie es so ist, kommen Mitch und Melanie einander näher. Unter anderem dadurch, dass eine Möwe Melanie angreift.

Melanie kommt bei ihrem unerwarteten Aufenthalt in Bodega Bay bei der Lehrerin Annie Hayworth (Suzanne Pleshette) unter. Die ist nicht ganz so begeistert von Melanies Begeisterung für Mitch, wie auch Mitchs Mutter Lydia (Jessica Tandy) nicht darüber erfreut ist, dass ihr Sohn Interesse an Melanie zeigt.

Zwischen all diesen Menscheleien erheben sich irgendwann die Vögel. Zunächst sind es Möwen, die eine Geburtstagsparty aufmischen und Kinder angreifen, dann sind es Spatzen, die in das Haus der Brenners eindringen. Auf einer benachbarten Farm wird der Hofbesitzer tot aufgefunden — um ihn herum tote Vögel, seine Augen ausgepickt. Langsam wird klar, dass die Vögel gefährlich sind.

Die sonst so friedlichen Tiere rotten sich zusammen und machen Jagd auf die Menschen von Bodega Bay — aber auch aus Nachbarstädten sind Angriffe zu vermelden.

Meinung von

Heutzutage würde man nach spätestens zehn Minuten Horden von Vögeln zeigen, die über Menschen herfallen. Die Opfer würden laufen, schreien, fallen und zerfetzt werden. Es würde Blut fließen, das Militär würde anrücken. Wissenschaftler würden sich überlegen, woran das liegen kann, dass Vögel Amok laufen. Vermutlich Atomtests oder neuzeitlicher: irgendwas mit Genetik.

Alfred Hitchcock baut seinen Film langsam auf. Die Figuren werden vernünftig eingeführt und bleiben nicht oberflächlich. Die erste Attacke erfolgt nach rund 30 Minuten, also vergeht knapp ein Viertel des Films, bevor die namensgebenden Vögel zuschlagen. Erst ein wenig, dann ein wenig mehr.

Hitchcock selber meinte einmal, man müsse die Geschichte eines Films auch ohne Ton erfassen können. Das konnte er sagen, weil der Brite genau diese Kunst beherrschte. Über lange Strecken wird nicht geredet. Nicht einmal Musik läuft im Hintergrund, um eine Stimmung zu transportieren. Es gibt keine Musik in Die Vögel. Stattdessen setzte Hitchcock bei den Vogelangriffen auf neumodische elektronische Instrumente. Das Geschrei der Flattermänner ist künstlich — und gruselig. Und immer wieder gibt es lange Passagen, in denen nicht ein Wort gesprochen wird.

So bleibt mehr Raum für das Zwischenmenschliche. Vor allem die Situation von Mutter Lydia wird gut ausgeleuchtet. Sie ist eine gebrochene Frau, die Angst davor hat, dass ihr Sohn von einer Fremden das bekommt, das sie ihm nie hat wirklich geben können: Liebe.

In Die Vögel geht es nicht nur um den blanken Horror von angreifenden Vögeln. Es geht um die Schicksale der Menschen und es geht um das Schicksal der Menschheit. Wir erfahren nie, wieso die Vögel auf einmal aggressiv werden, wie es kommt, dass sie sich organisieren um anzugreifen. Hitchcock gibt uns am Ende auch keinen Hinweis darauf, wie es mit den Menschen im Allgemeinen weitergeht. Ist die "Epidemie" nur auf Bodega Bay begrenzt? Oder ist es ein weltweites Phänomen? Hinweise auf den "Untergang der Welt" gibt es ja — wenn auch von einem Trunkenbold im Café skandiert.

Hitchcock schafft es mit — aus heutiger Sicht — einfachen Mitteln, einen spannenden, wenn auch eben nicht "aufgeregten" Film zu produzieren. Der "Master of Suspense" verwendete echte, trainierte Vögel, Pappaufsteller und ausgestopfte Tiere sowie Modelle an Seilen. Er musste die Illusion von vielen, vielen Vögeln erzeugen. Was er geschafft hat. Hitchcock war nie begeistert von Außenaufnahmen, daher findet auch bei Die Vögel der Großteil der Aufnahmen im Studio statt. Landschafts-, Wasser- und Stadtaufnahmen wurden zum Großteil mittels "Yellowscreen" oder "Sodium vapor process" hinzugefügt. Das ergab eine weitaus bessere, "sauberere" Collage als mit Bluescreen. Teilweise ist das, was der Zuschauer bei Die Vögel heute sieht, immer noch sehr beeindruckend. Es muss nicht immer CGI sein. ;-)

Ich habe den FIlm erst jetzt, knapp 50 Jahre nach seiner Entstehung richtig, vollständig gesehene und bin beeindruckt! Wirklich spannend und gute Charaktere. Die damals noch absolut unbekannte Tippi Hedren hatte Hitchcock in einem Werbespot gesehen und sie anschließend angeheuert. Sie spielt nett. Sie lächelt ständig, was mir irgendwann auf den Keks ging. Doch im Laufe des Films vergeht ihr das Lächeln. Vor allem in der Szene nach ihrem Angriff auf dem Dachboden der Brenners spielt sie gut.

1963, als der Film gedreht wurde, war es noch schicklich, wenn Frauen im Film Kette rauchten. Holla, die Hedren und die Pleshette liefern sich da ein Rauchduell … geht aus heutiger Sicht gar nicht.

Die Vögel ist Kultur und sollte man einmal gesehen haben.