Besprechung
Haeven Can Wait ist eine Dokumentation, die erste Dokumentation bei den Moviejunkies. Der Film von Regisseur Sven Halfar begleitet den Hamburger Chor „Heaven Can Wait“, bei denen die Mitglieder mindestens 70 Jahre alt sein müssen. Das geht hoch bis 91 (Wilhelm) und sogar 97 (Ruth). Chorleiter Jan-Christof Scheibe hat die 35 Sängerinnen und Sänger aus rund 120 Bewerbern ausgewählt. Da wurde nicht unbedingt der beste Sänger gewählt, sondern die Person, die am nettesten rüberkam und die besten Geschichten erzählen kann.
Unter den Singdrosseln sind auch Joanne, eine ehemalige Profi-Sängerin, die noch das lauteste Organ besitzt. Wohingegen Wilhelm immer wieder Schwierigkeiten mit seinem Text hat. Scheibe lässt die Rentnertruppe nicht Klassiker oder Schläger singen, sondern die Musik ihrer Enkel und Ur-Enkel. Deichkind, Jan Delay und Cro stehen auf der Set-Liste. Die alten Damen und Herren, die alle viel Lebensenergie und Freude aus ihrer Arbeit im Chor ziehen, rappen, rocken und pogen. Das ist nicht ohne Grund so. Scheibe hat sich dabei etwas gedacht.
Wir verfolgen die Truppe, die sich kurz vor Corona gegründet hat, durch die Pandemie und die Zeit danach. Wir sehen wie sie die Herzen und Gesichter des Publikums im St. Pauli Theater zum leuchten bringen. Wir müssen neben dem vielen Frohmut auch Trauer miterleben, die Auseinandersetzung mit dem Tod. Der Gevatter hat für die Sängerinnen und Sänger jedoch eine anderes Ansehen, als er es für junge Zuschauer hat.
Meinung von Nils
Ich bin ja kein Dokumentationstyp. Ich will Geschichten sehen. Okay, eine gute Dokumentation kann auch eine Geschichte erzählen. Autor und Regisseur Halfar schildert gleich viele kleine Geschichten und schafft es einen großen Bogen über diese zu spannen. Alte Menschen, die nicht wirklich singen können und dann sich an Rap-Musik versuchen? Das wird doch bestimmt peinlich ... Nicht unter der Regie von Halfar. Er geht ganz behut- und einfühlsam mit seinen Protagonisten um. Da ist nie etwas peinlich. Vielmehr fließen viele Lachtränen im Kino.
Scheibe hat ein sehr interessantes Konzept ersonnen. Wir hatten das Glück, Regisseur und Chorleiter nach dem Film im Zeise noch in einer Fragestunde erleben zu dürfen. Ich liebe solche Momente, wenn die Filmschaffenden noch einmal etwas zu ihrem Film, etwas zu dem "Hinter den Kulissen" erzählen. Hier war nun auch noch ein Hauptdarsteller des Films mit auf der Bühne. Der wusste zu erzählen, dass seiner Meinung nach zwar ein Spruch wie "Die Weisheit des Alters" existiert, aber wer hört denn den Alten zu? Es findet kein Austausch zwischen Jung und Alt statt.
Um diese Kommunikationsbarriere zu durchbrechen, lässt Scheibe seine Truppe eben junges Material singen. Der charmante Wilhelm verzweifelt so herzerweichend an "Emanuela" von Fettes Brot. Wenn die Jungen nicht zu den Alten kommen, müssen die sich eben bewegen. Und das machen sie mit Lust und Freude.
Halfar zeigt uns eine Generation von Menschen, die aus einer vollkommen anderen Zeit stammen. Da ist die eher schüchtern wirkende Ingrid, die eigentlich nicht vor die Kamera wollte, weil sie doch nichts zu sagen habe, so Ingrid selbst. Halfar hat sie dennoch dazu bekommen, sich einem breiten Publikum zu öffnen. Die Geschichten sind ein Fenster in eine Zeit, wo junge Menschen nicht geliebt, nicht gefördert wurden. Monika wurde zum Beispiel von ihrem Vater gezwungen in der Fleischerei zu arbeiten, als Kind wurde sie nie gelobt. Heraus gekommen ist eine starke, selbstbewusste Frau, die ihren Weg gefunden hat. Wolfgang wurde nie von seiner Mutter in den Arm genommen, hier war der Vater der weiche Halt.
Betrachtet man Sängerinnen und Sänger über 70, bleibt es nicht aus, auch die zu zeigen, die nicht mehr zusammen sind, wo der Partner bereits abgetreten ist. Wie gehen die Helden des Films damit um? Naja, es gibt einen Unterschied zwischen alleine sein und einsam sein. Das Erste ist nicht so schlimm.
Der Regisseur und Wahl-Hambuger Halfar hat bestimmt nicht immer ein leichtes Los gehabt. Erst einmal musste er "seine" Protagonisten innerhalb des Chors finden. Dann musste er deren Vertrauen erlangen, um anschließend als offenes Ohr – und Kameraauge – für diese da zu sein. Er schafft es in eindreiviertel Stunden ein wunderbares Porträt dieses einzigartigen Chors zu malen, in den er sich laut eigener Aussage "schockverliebt" hat, als er diesen zum ersten Mal erlebt hat. Der Film ist unglaublich schön, lustig und traurig.
Ich bin ja nicht die Rampensau, sonst hätte ich mir in der Fragestunde das Mikro geschnappt. So bleibt mir nur in der schriftlichen Form ein ganz herzlich gemeintes Danke zu sagen. Danke an Halfar. Danke an Scheibe. Und Danke an all die tollen Menschen, die sich im hohen Alter einen Traum erfüllt und das Leben zu lieben gelernt haben. Ein wunderschöner Film. — Oh, Sorry. Ich meinte Dokumentation.
Der Streifen hat – vollkommen verdient – den Publikumspreis beim Filmfest Hamburg gewonnen. Aber auch in Leipzig (FKM), was dann kein Heimspiel mehr war, sondern ein Beweis für die Kraft des Films.