Besprechung
Chicago Southside ist Schauplatz eines Bandenkrieges zwischen den Spartans und den Trojans. Der Anführer der Spartans, Chi-Raq (Nick Cannon), ist Rapper und gerade einem Anschlag der Trojans entkommen. Trojans-Boss Cyclops (Wesley Snipes) steckt auch noch die Wohnung von Chi-Raq in Brand.
Als im Krieg zwischen den verfeindeten Banden ein kleines Mädchen Opfer einer verirrten Kugel eines Drive-by-Shootings wird, platzt Lysistrata (Teyonah Parris) der Kragen. Die Freundin von Chi-Raq hat die Schnauze voll von dem Krieg. Miss Helen (Angela Basset) bringt sie auf die Idee, die Gewalt der Männer mit den Waffen der Frauen zu bekämpfen. Lysistrata scharrt ihre Freundinnen, aber auch die Frauen der Trojans um sich. Gemeinsam schmieden die Frauen den Plan: wenn die Männer nicht Frieden schaffen, gibt’s keinen Sex mehr.
Der Sex-Streik nagt an den Männern. Chi-Raq bleibt jedoch bei seiner Meinung, Krieg sei gut. Schließlich besetzt Lysistrata mit etwa 74 anderen Frauen friedlich ein Militär-Depot. Die Bewegung der Frauen aus Chicago geht derweil um die Welt. Langsam wird es eng für die Männer.
Meinung von Nils
Der Hauptgangster nennt sich Chi-Raq (heißt aber eigentlich Demetrius Dupree), der Bereich von Chicago, in dem der Film spielt, heißt ebenfalls Chi-Raq. Das ist ein Mix aus Chicago und Irak. Am Anfang des Films erfahren wir, dass zwischen 2001 und 2015 die Anzahl der Toten in Chicago die der Gefallenen im Irak-Krieg überstieg. Die Rede ist hier von Toten durch Ganggewalt, hauptsächlich von schwarzen männlichen Tätern verübt. Chi-Raq ist ein Kampfgebiet.
Regisseur Spike Lee nimmt sich in Chi-Raq einer alten Geschichte an. Wer denkt, die Geschichte um die Frauen, die durch Sexentzug einen Frieden erzwingen wollen, sei eine völlig blöde Idee eines Durchgeknallten aus unseren Tagen – der irrt. Chi-Raq basiert auf Lysistrata von Aristophanes, der das Stück 411 vor Christus schrieb. Noch Fragen? Lee greift das Thema auf und portiert es in die Neuzeit, mit den Problemen der neuen Zeit: Egoismus und Geltungssucht, schlechte Ausbildung, schlechtes Gesundheitswesen und Arbeitslosigkeit, korrupte Politiker in den Händen der NRA.
Was zunächst wie eine lustige Idee anmutet, artet dann doch aus in eine harsche, gut gemacht Kritik an der amerikanischen Gesellschaft. Zwar kann man die meisten Punkte auch in anderen Ländern finden, Lee ist sein Land jedoch wichtig. Er sieht, wie es untergeht und wirft ihm Chi-Raq ins Gesicht.
Chi-Raq will ein harter Typ sein, ihm ist sein Image extrem wichtig. Niemals das Gesicht verlieren. Dann lieber untergehen – natürlich mit Glorie und Engelsgesang. Dieses Verhalten ist extrem gefährlich für die Umwelt. Ich sehe hier auch die "Ich will YouTuber/Influencer"-Spacken. In unserer Zeit ist es verdammt wichtig das eigene Ego zu streicheln. Das kann nur zu Kollateralschäden führen. In Chi-Raq ist es das kleine Mädchen. Aber auch ihre Familie und die Gemeinde.
John Cusack spielt Father Mike Corridan, der auf der Trauerfeier der kleinen Patti eine hitzige Rede hält. Die kommt zwar nicht an die Rede von Edward Norton in 25 Stunden heran (die Hassrede in der Kneipe seines Vaters), dennoch kommen die wichtigen Punkte herüber. Die Rede von Corridan ist gut. Er spricht aus, was das Problem mit Amerika ist. Die Amerikaner lieben den Krieg. Politiker sind von der NRA gekauft und so ist es leicht, an Waffen heranzukommen. Waffen die Unschuldige töten. Jobs und Bildung könnten die Todesspirale aufbrechen – aber das ist vom System nicht gewollt. Schwarze sollen sich so gegenseitig umbringen. Und wenn sie das nicht machen, kommen sie in Hightech-Gefängnisse. Gefängnisse sind in Amerika ein lukratives Geschäft. Also wird auch alles dafür getan, die Interessen der Betreiber zu wahren. Ein ekliges System, das die Amis da haben. Lee hebt den Müllbeutel hoch und schaut sich das Gewürm darunter an.
Die Geschichte ist also alt, hat sich über die Jahrhunderte bewährt – sonst wäre sie in Vergessenheit geraten. Lee mischt sie wie gesagt mit aktuellen Themen. Eigentlich müsste der Film gut ankommen. Das heißt … ne, wer will schon hören, dass er manipuliert und kleingehalten wird? Das ist wohl aber noch nicht einmal der Grund dafür, warum Chi-Raq so massiv floppte. 15 Mio Dollar hat er gekostet und nur knapp drei Mio eingebracht. Was für ein Desaster. Vielleicht liegt es an der Präsentation des Films? Wie ein altes Theaterstück wird viel gereimt. Nicht alles, aber die reimende Textstruktur kommt deutlich herüber. Das ist nicht jedermanns Sache. Was schade ist.
Ich muss allerdings gestehen, dass ich anfangs auch nicht recht rein kam in den Streifen. An einem Punkte dachte ich, der Film würde nur farbige Menschen und ihre Probleme ansprechen. Das wird dadurch verursacht, weil es über lange Strecken kein weißes Gesicht zu sehen gibt. Mit Cusacks Priester wird klar, dass die Gewalt kein Problem der Hautfarbe ist. Wir leben alle in Gemeinschaften, in Städten, in Ländern – die von Menschen gelenkt werden. Und sie lenken schlecht. Sie lenken in ihren Interessen. Scheiß auf Menschenleben.
Am Ende kommt es in Chi-Raq zu einem Sex-Showdown. Der ist eine Finte, um Chi-Raq endlich dazu zu bekommen, der Gewalt abzuschwören. Sogar Cyclops hat verstanden, dass die Gewalt enden muss. Niemand hat etwas davon, wenn wir Menschen verlieren oder verkrüppeln. Chi-Raq hat nicht nur seinen Egoismus, der ihn daran hindert die Gewalt zu verteufeln. Es war seine Kugel, die die kleine Patti tödlich getroffen hat. Nun muss er um Vergebung bitten. Wie macht man das, wenn einem nur die eigen Person und der Ruhm wichtig ist?
Chi-Raq wird stimmungsvoll von der Musik von Spike Lees Haus- und Hof-Komponisten Terence Blanchard untermalt. Zudem werden noch ein paar Rap-Lieder reingemischt. Schade, dass Chi-Raq keinen richtigen Erfolg hatte. Ich weiß gar nicht, ob der jemals in den deutschen Kinos war?